60 Gewerkschaften und 4 Dachverbände und was ist ein Tillitsvalgt?

Norwegen ist ein Land mit einer starken Tradition der organisierten Arbeitnehmerinteressenvertretung. Anders wie in Österreich ist die Gründung einer kollektivvertragsfähigen Gewerkschaft relativ einfach.

Streikende im April 2023 vor dem norwegischen Parlament
Heute gibt es in Norwegen 4 große Dachverbände. Die älteste und der Sozialdemokratie sehr nahestanden norwegische Gewerkschaftsbund (LO) wurde schon 1889 gegründet. Dieser war auch bis in die 70 Jahre der einzige Dachverband. Die Nähe zur norwegischen Arbeiterpartei führte zu Gründung weiterer Dachverbände. Der Zentralverband der Berufsverbände (YS) spaltete sich in den 70er Jahren von der LO ab . Dazu kamen in den 90er und 00er Jahren noch zwei weitere Dachverbände: die des Gewerkschaftsbundes für Fachkräfte (Unio) und dem Verband norwegischer Berufsverbände (Akademikern). Darüber hinaus gibt es Gewerkschaften, wie NITO, mit rund 100.000 Mitgliedern, die keinem Dachverband angehören.
Rund 2 Mio. Menschen sind gewerkschaftlich organisiert was ein Organisationsgrad von rund 50% entspricht. Ein wichtiger Unterschied zu Österreich ist, dass es keine Aufteilung der Branchen unter den Gewerkschaften gibt, so stehen sie teilweise in direkter Konkurrenz zueinander.

NITO, die Gewerkschaft für Ingenieure und technische Spezialisten, mit 100.000 Mitgliedern ist sie die größte Gewerschaften Norwegens, die in keinem der vier Dachverbände organisierte ist
Tillitsvalgt
Auch gibt es den klassischen Betriebsrat in Norwegen nicht. Man kann betrieblich zwei Rollen einnehmen, die teils in Personalunion ausgeübt werden können aber oft mal getrennt sind. Dies wäre der Tillitsvalgt, eine Art Vertrauensperson, die von der Belegschaft jährlich gewählt wird. Davon unterscheiden sich die, von den Gewerkschaftsmitgliedern gewählten Gewerkschaftsrepräsentanten, die kollektivvertragliche Rahmenrechte in der Firma verhandeln und Lohnverhandlungen für ihre Mitglieder im Betrieb führen. Und nur unter ihnen gibt es auch (abhängig vom Kollektivvertrag) Freistellungen. Im Übrigen kennt das norwegische Gesetz für gewählte Interessenvertreter keinen erhöhten Kündigungsschutz, allerdings finden sich gewisse Bestimmungen in den Tarifverträgen. In traditionell starken Branchen sind diese meist stärker ausgeprägt.
So kommt es häufig vor, dass sich mehre Gewerkschaften in einem Betrieb wiederfinden und folglich auch in Konkurrenz zueinander stehen können.

Sieben Gewerkschaften, mit ihren Büros für ihre Gewerkschaftsrepräsentanten, belegen ein ganzes Stockwerk im Zentralkrankenhaus Oslo (3. et)
Diese hohe Anzahl an Gewerkschaften führt in vielen Bereichen zu einem offenen Wettbewerb um Mitglieder. Dadurch entwickelte sich in Norwegen gewerkschaftliche Strukturen mit sehr flachen hierarchischen Ausprägungen bzw. einer relativ hohen Transparenz für die Mitglieder.